Krisenverwaltung: Von Japan gelernt?
Jetzt da sich
herausgestellt hat, dass der Gott "Freie Marktwirtschaft"
nicht unfehlbar ist, guckt die politische Elite der Welt dumm aus der
Wäsche. Die siegreichen
Tage des freien Marktes sind vorbei.
Nun versuchen unsere
geschockten Bosse zu verhindern, dass die Weltwirtschaft in eine
längere Depression (1) rutscht. Da der freie Markt keine
Lösungen mehr bietet, lautet nun die große Frage: Reicht
ein starker Eingriff des Staates aus, um den wirtschaftlichen
Niedergang zu verhindern - oder nicht?
Doch es gibt noch mehr
schlechte Nachrichten für alle, die es ziemlich bedenklich
finden, dass wir nach dem Versagen der Märkte nun auf
Politiker/innen vertrauen sollen, damit sie den Karren wieder aus
dem Dreck ziehen. Die Geschichte sagt uns, dass es nicht gut ausgeht,
wenn Regierungen immer mehr Geld für die Rettung des
Kapitalismus hinauswerfen. Während der Depression
der 1930er Jahre hatte die US-Regierung fast ihr ganzes Vermögen
für die Wirtschaft ausgegeben. Doch mit wenig Erfolg. Trotz der
riesigen Summen, die bezahlt wurden, blieb die US-Wirtschaft in der
Krise festgefahren. Erst durch den Schrecken des Zweiten Weltkriegs
kam die Wirtschaft wieder in Schwung.
Doch es gibt ein jüngeres
Beispiel für einen missglückten staatlichen Eingriff, der
eigentlich die Wirtschaft wieder ankurbeln sollte. In den 1990er
Jahren hatte die japanische Wirtschaft ihre eigene Bankenkrise
durchgemacht. Diese war wie die heutige durch ein schlecht
aufgebautes Kreditsystem der japanischen Banken verursacht worden.
Bei dem Versuch ein
Abgleiten der Wirtschaft in eine Spirale der Deflation (2) zu
verhindern hatte die japanische Regierung nie dagewesene Summen staatlicher Gelder für
öffentliche Aufträge ausgegeben. Ausserdem hatte sie
Maßnahmen getroffen, die die Verbraucher/innen dazu
brachten 10% mehr Geld auszugeben. Doch keine dieser Maßnahmen
half etwas und während der 1990er Jahre war die japanische
Wirtschaft nur um durchschnittlich 1% im Jahr gewachsen. Man nennt es
auch das "verlorene Jahrzehnt".
Es überrascht also
nicht, dass dieses Trauma (3) der japanischen Wirtschaft nun von den
Großen und Mächtigen der Welt gründlich erforscht
wird. Sie wollen daraus lernen wie sie aus der aktuellen Krise
herauskommen. Die große Hoffnung besteht darin, dass durch ein
schnelleres Eingreifen der Regierungen die Krise besser als damals in
Japan bekämpft werden könne. Das könnte
vielleicht sogar funktionieren. Denn die japanische Regierung war
damals der freiwirtschaftlichen Ideologie (4) des "Nichtstuns"
verfallen. Daher hatte sie erst verspätet eingegriffen als die
Wirtschaft schon tief im Sumpf der Deflation versunken war.
Andererseits hatte die japanische Wirtschaft gegenüber jener
Krise mehrere Vorteile, die die kapitalistischen [nationalen]
Wirtschaften heute nicht haben.
Zum Beispiel hatte Japan
keine Staatsverschuldung und viele privat angesparte Vermögen.
Das machte es einfacher die Deflation durch riesige Staatsausgaben
und Konsum hinauszuzögern. Der weitaus größte
Unterschied liegt jedoch darin, dass zur Zeit der japanischen Krise
der übrige Kapitalismus boomte (5). Das ermöglichte der
japanischen Wirtschaft sich durch Exporte (6) über Wasser zu
halten. Angesichts dieser
Unterschiede ist der einzige Lichtblick, den
man heute aus der japanischen Erfahrung lernen kann, die Tatsache,
dass eine Regierung in der Lage war eine voll entwickelte Depression
abzubremsen indem sie riesige Geldsummen dafür ausgab.
Es könnte durchaus
sein, dass die unglaublichen Gelder, die jetzt ausgegeben werden,
eine weitere Depression im Stil der 1930er Jahre verhindern werden.
Dann hätten wir es nur mit einer verlängerten Rezession (7)
zu tun. Was auch immer geschieht,
zwei Dinge können wir mit Sicherheit sagen: Die eingebildete
Dummheit des [Sozialdemokraten] Gordon Brown
(8) mit der er behauptet, seine Labour-Partei (9) hätte den
Kapitalismus durch Aufstieg und Fall hindurch gerettet, ist heute nur
noch lächerlich. Der Kapitalismus ist innerlich nicht starr und
ein Aufschwung wird immer von einer Talfahrt gefolgt.
Die andere Gewissheit
ist: Egal was passiert, die Klasse der Lohnabhängigen muss den
Preis für das Versagen des Kapitalismus zahlen. Egal ob
Depression oder Rezession - wir werden dafür bezahlen, wenn die
Arbeitslosigkeit steigt und der Lebensstandard sinkt. Und
tragischerweise werden es die Niedriglöhner/innen und
Zeitarbeiter/innen sein, die am meisten darunter zu leiden haben.
aus:
Direct Action, Nr. 45 / Winter
2009,
Magazin der Solidarity Federation (SolFed - IAA),
http://direct-action.org.uk
Internationale
Arbeiter/innen-Assoziation (IAA),
http://www.iwa-ait.org
Erläuterungen:
1)
Depression: tiefe Wirtschaftskrise nach Abschwung (Rezession)
2)
Deflation: Geldaufwertung/Preisverfall, evtl. bis
Wirtschaftsstillstand (Stagnation)
3) Trauma: nachwirkender
Schock oder Schmerz
4) Ideologie: Weltanschauung, Überzeugung
5)
Boom: Wirtschaftsaufschwung, Hochphase der Umsätze bzw.
Ausgaben
6) Export: Verkauf von Gütern in andere Staaten
7)
Rezession Wirtschaftsabschwung, Rückgang der Umsätze bzw.
Ausgaben
8) Gordon Brown: Premierminister von Großbritannien
9)
Labour: britische sozialdemokratische Partei (z. Z. an der
Regierung)
Übersetzung und
Anmerkungen: Anarchosyndikat Köln/Bonn,
http://anarchosyndikalismus.org
Unsere Themenseite zur Wirtschaftskrise:
http://anarchosyndikalismus.org/action/krise2009/krisenaktionstag17sept2009/
Die Übersetzung ist gemeinfrei bei Nennung des "Anarchosyndikat Köln/Bonn"!