Sie sind hier:
Start / IAA: 1. Mai 2009
Weg mit den Chefs!
Für den Aufbau einer freien,
revolutionären Alternative der Arbeiter/innen
Arbeiter/innen auf der ganzen Welt feiern dieses Jahr den
Ersten Mai, während über ihren Köpfen eine neue Gefahr schwebt: die globale
Finanzkrise. Nun, jede kapitalistische Krise ist eine Krise für die Chefs und
Politiker/innen, aber eine Chance für Arbeiter/innen! Die Interessen der
weltweit arbeitenden Massen stehen immer im klaren Gegensatz zu den Interessen
der Herrscher/innen. Wir müssen uns dieser einfachen und grundlegenden Tatsache
stets bewusst sein und sie nutzen, um unsere Befreiung voranzubringen.
Fast ein Jahrzehnt lang wurden die Grundstückspreise in den USA künstlich
aufgeblasen, was schließlich zu der Immobilienkrise führte, die sich schnell
auf andere Teile der Industrieländer ausgebreitet hat. Das führte im Spätsommer
2008 zu der weltweit schlimmsten Finanzmarktkrise seit der Großen Depression
der 1930er Jahre. Diese Krise betrifft nun alle Regionen der Erde, ob
"entwickelt" oder nicht.
Die meisten Politiker/innen und die "verantwortlichen"
Kapitalist/innen versuchen nun dieses perverse System der Herrschaft des
Menschen über den Menschen noch ideologisch zu retten. Sie bombardieren uns mit
metaphysischen Theorien darüber, wie so etwas in ihrem hochpolierten System des
Freihandels bloß passieren konnte. Sie behaupten, dass der wahre Grund für
diese Krise nicht das Wesen des Kapitalismus selbst sei, sondern die Gier
einiger mieser Bänker an der [New Yorker Börse] "Wall Street". Einige
behaupten, dass es nicht genügend staatliche Regelungen für den "freien
Markt" gäbe. Das habe dazu geführt, dass gierige Einzelpersonen das Happy
End des kapitalistischen Märchens zwar leichtfertig aufs Spiel gesetzt, aber
noch nicht komplett ruiniert hätten.
Andere wiederum glauben, es gäbe zu viel staatliche Einmischung: Die Bänker an
der Wall Street seien gute und ehrliche Leute, aber die Politiker/innen hätten
sie - in dem Versuch die Massen zu umwerben - dazu gebracht sich
"unethisch" zu verhalten.
Aber wir wissen, dass alle diese Theorien Quatsch sind. Wir wissen, dass die
Natur des Kapitalismus ihrem Wesen nach eine dauernde Krise ist. Ein System von
Widersprüchen, das immer und immer wieder Armut und Elend hervorbringt, um eine
kleine parasitäre, herrschende Klasse zu erhalten. Allein im 20. Jahrhundert
gab es nicht weniger als elf große Finanzkrisen und Aktiencrashs. Wir wissen,
dass der einzige Weg dieses System zu "verbessern" bedeutet, es
gemeinsam abzuschaffen. Dazu müssen sowohl der Kapitalismus als auch der Staat,
sowie alle auf autoritären und hierarchischen Gesellschaftsbeziehungen, die
diese hervorbringen, zerstört werden. Die Arbeiter/innen auf der ganzen Erde
müssen sich bewusst werden, dass nur sie allein das können und tun müssen. Denn
sie sind die einzigen, die allen Reichtum der Welt produzieren - nicht die
Chefs und Politiker/innen, die nur Elend hervorbringen.
Die globalen Folgen der aktuellen Krise werden für die arbeitenden Menschen
schwerwiegend sein. Von 2007 bis 2008 haben weltweit 10 Millionen Leute ihren
Job verloren. Für 2009 wird vorhergesagt, dass weitere 40 Millionen entlassen
werden. Die weltweite Zahl der Arbeitslosen wird somit auf 230 Millionen
steigen, weitere 100 Millionen werden unter der Armutsgrenze leben müssen.
Und versucht das System diesen Menschen irgendwie zu helfen? Nein, das oberste
Ziel besteht darin Bürgschaften für jene Banken zu übernehmen, die uns
eigentlich in diese Krise gelenkt haben. Viele Milliarden Dollar von jenem
Reichtum, den wir Arbeiter/innen geschaffen haben, werden in den gefräßigen
Schlund wohlhabender Bankmanager/innen und gescheiterter kapitalistischer
Dinosaurier geworfen. Wie so oft zuvor, werden wir in Armut gezwungen, damit
unsere Bosse in dem von uns produzierten Wohlstand leben können.
Es ist wichtig die große Gefahr zu erkennen, die daraus entstehen kann: Der
Wiederaufstieg des Staatskapitalismus. Wir haben das Szenario in Vergangenheit
viel zu oft beobachten können. Dies ist der Mechanismus mit dem die Chefs in
Zeiten der Krise ihre Herrschaft erhalten wollen, wenn Arbeiteraufstände sie zu
bedrohen beginnen. Das geschieht weltweit in Form von Verstaatlichung großer,
gescheiterter Finanzinstitutionen. Die Propaganda des Kapitalismus versucht uns
das als eine Art Vergesellschaftung des Kapitalismus zu verkaufen, eine
Einführung des Staatssozialismus über die Hintertür. Denn sie sagen, die
gescheiterten Finanzfirmen seien zu groß, um sie untergehen zu lassen, weshalb
wir alle für sie bezahlen müssen. Wir stimmen zu, dass es sich dabei um Sozialismus
handelt, aber um einen Sozialismus für die Bosse, während den Arbeiter/innen
der gleiche alte Kapitalismus bleibt.
Zu den Problemen der Arbeiter/innen in dieser Situation gehören die autoritären
sozialistischen und sozialdemokratischen Regierungen in aller Welt, die sich
durch die Krise bestätigt sehen wollen. Sie sagen eigentlich alle, dass der
Kapitalismus ein rücksichtsloses System sei, zu dem sie die
"realistische" und "menschliche" Alternative bieten würden.
Tatsächlich ist die Krise genau das, wovon [Venezuelas Staatspräsident] Chavez
& Co. nur träumen konnten. Doch die Geschichte hat brutal gezeigt, dass die
Diktaturen dieser Staats-"Sozialist/innen" kein Weg zur Freiheit
sind.
Zu allem Übel müssen sich Arbeiter/innen in aller Welt dann auch noch mit den
üblichen letzten Verfechter/innen des Kapitalismus herumärgern - den
faschistischen Bewegungen, die Tag für Tag stärker werden. Faschistische Banden
auf den Straßen, in den Parlamenten und Regierungen setzen bereits ihre
unterdrückerische und rassistische Politik in die Tat um. Je mehr sich die
Krise vertieft, umso eher können wir erwarten, dass große Teile der
Kapitalist/innen sich zu einer offenen Unterstützung faschistischer Bewegungen
hinwenden. In diesem Sinn wird der antifaschistische Kampf auf Grundlage
basisdemokratischer Grundsätze mit direkten Aktionen als Kampfform eine immer
größere Bedeutung in Zukunft bekommen.
Uns muss klar sein, dass die einzig wahre Befreiung nur aus dem
antiautoritären, revolutionären Arbeitskampf entstehen kann, durch den Aufbau
einer wahrhaft freien Gesellschaft, des freiheitlichen Sozialismus: der
Anarchie.
Hand in Hand mit dem Kapitalismus und seiner dauernden Krise kommt der
Imperialismus. Seit Mai 2008 gab es die imperialistischen Zusammenstöße in
Georgien und die Massaker in Gaza. Und auch Konflikte, die unterhalb der Ebene
eines Krieges geführt wurden, aber trotzdem Opfer forderten. So zum Beispiel
der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine, der dazu geführt hatte, dass
im Winter 2008/2009 in achtzehn europäische Länder kein Gas geliefert wurde. Es
gab ausserdem einige Strategien der herrschenden Klassen, die gescheitert sind,
wie der [Europäische] Vertrag von Lissabon. Aber andererseits konnte sich die
NATO, die kürzlich das 60. Jahre ihrer kriminellen Existenz erreichte, neue
Staaten in ihre Militärmaschinerie einverleiben.
Ein Beispiel für unsere Möglichkeiten in diesen Zeiten waren die massiven
Proteste und Aufstände in Griechenland im Dezember 2008. Nach dem grausamen
Mord an dem 15jährigen Jungen Alexandros Grigoropoulos durch einen Polizisten,
der Mitglied der faschistischen Organisation "Goldene Dämmerung" ist,
brachen in ganz Griechenland gewaltsame Proteste von Arbeiter/innen und
Student/innen aus, die fast einen Monat dauerten. Die revolutionäre Botschaft
dieser Proteste war klar: Banken, kapitalistische Firmen und Staatsgebäude
wurden angegriffen und niedergebrannt. Gewerkschaftszentralen, Universitäten,
Schulen und andere Einrichtungen wurden von freiheitshungrigen Menschen
besetzt. Aber die Proteste beruhigten sich und nun sehen wir, wie der
griechische Staat sie als Vorwand benutzt, um durch die gesetzliche
Verschärfung der Polizeigewalt die Gesellschaft fester im Griff zu haben.
Wir sollten daraus eine wichtige Lehre ziehen: Während die Leute in
Griechenland verstanden haben, dass es für eine Revolution wichtig ist, die
Kontrolle der gesamten gesellschaftlichen Einrichtungen zu übernehmen, war
deutlich zu erkennen, dass es ihnen an einer klaren, organisierten,
revolutionären, radikalen Perspektive als Arbeiter/innen gemangelt hat. Es ist
grundlegend wichtig, eine starke revolutionäre Organisation der Arbeiter/innen
zu haben, frei von jeder Autorität und Hierarchie, mit dem klaren Ziel der
Zerstörung von Staat und Kapitalismus. Wenn wir diese Organisation nicht haben,
werden die von vereinzeltem Widerstand geschaffen kleinen Freiräume, leicht von
Faschist/innen oder autoritären Sozialist/innen überrannt und übernommen
werden.
Das autoritäre System, in dem wir leben, fällt auseinander. Die herrschenden
Klassen befinden sich momentan im Zustand totaler Verwirrung, während sie die
Kontrolle über die Situation zu haben scheinen. Die liberale, kapitalistische,
post-moderne und ideologiefreie Wirtschaft war seit dem Zerfall des
[staatskapitalistischen] Ostblocks das bisherige Ziel ihrer Propaganda. Sie
fordert nun ihren Tribut von ihnen. Die Herrschenden haben versucht uns glauben
zu lassen, dass Ideologie und Politik der Vergangenheit angehören würden. Und
die ideenlose, "freie" Marktwirtschaft sei das praktischste und
bestmögliche System, was das "Ende der Geschichte" aufzeige. Viele
von ihnen hatten begonnen ihre eigenen Lügen zu glauben. Ohne eine schlüssige
Idee was zu ist, sind sie nun in Panik geraten und versuchen sich selbst zu retten,
indem sie uns Arbeiter/innen noch ärmer und elender als bisher machen. Sie
verstehen nicht, dass sie sich damit ihr eigenes Grab schaufeln.
Ihre Lügen sind einfach zu durchschauen, leichter als zuvor. Und wir müssen
diese ungeheuere Gelegenheit nutzen, um eine freie Alternative zu ihrem System
der Ausbeutung aufzubauen. Eine Alternative ohne Vorgesetzte und Machtgefälle,
ein System in dem jede/r Einzelne und jede Gruppe wahrhaft frei sein wird, um
die Möglichkeiten des Lebens in höchstem Maß auszudrücken. Ein System voller
Kreativität und Ideenreichtum, voll Respekt und ungehemmter Lebensfreude,
welches über Passivität, Langeweile, Stillstand, Rezession und alle
"Managerkrankheiten" siegen wird.
Um diese schwere Aufgabe der Befreiung zu bewältigen, müssen wir daran arbeiten
unsere Organisationen zu stärken. Wir müssen uns am Arbeitsplatz organisieren,
in unseren Gemeinschaften, in allen Bereichen des Lebens, wenn wir endlich jene
Freiheit erleben wollen, die die Menschheit in ihrer Geschichte gesucht hat.
Die Zeit, in der wir leben, bietet die ungeheuere Chance, eine freiheitliche,
revolutionäre, anarchosyndikalistische Bewegung aufzubauen, die in der Lage
sein wird, die Tyrannei und Unterdrückung auf ihren Platz zu verweisen: den
"Müllhaufen der Geschichte". Wir dürfen diese Gelegenheit nicht
verpassen. Wir schulden es allen, die vor uns kamen. Die selbstlos für die
Ideale der wahren Freiheit kämpften und starben, wie die tapferen [1887
hingerichteten] Arbeiter von Chicago, in deren Gedenken wir den Ersten Mai feiern.
Und wir schulden es all denen, nach uns kommen werden.
IAA-Sekretariat,
Belgrad, 30. April 2009
Internationale-Arbeiter/innen-Assoziation (IAA)
http://www.iwa-ait.org
Übersetzung:
Anarchosyndikat Köln/Bonn,
http://anarchosyndikalismus.org