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Nahost: Licht
auf die Situation
[Der nationalistische Konflikt Israel - Palästina]
Als Reaktion auf einige Stellungnahmen der nationalistischen "Linken"
über den Konflikt im Nahen Osten veröffentlichen wir Auszüge des
Artikels "Medio Oriente: Luz a la situacíon" von Vadim G. (KRAS-IAA)
aus der spanischen Zeitschrift "CNT":
"Unsere Heimat ist die ganze Welt, unsere Gesetze sind die Freiheit,
so wird es in einem alten libertären Lied gesungen. Für InternationalistInnen
gibt es in einem nationalen Konflikt keine "Gerechten" und keine
"Schuldigen". Lenin und alle anderen Staatsbefürworter unterschieden
zwischen einem "bösen" Nationalismus eines Unterdrücker-Staates
und dem "guten und progressiven" Nationalismus der Unterdrückten.
Für uns gibt es keine guten und progressiven Nationalisten - alle
Nationalismen sind schlecht, sie sind der schlimmste Feind der vollständigen
Befreiung der Menschheit. Das heißt, dass der zionistisch-israelische
und der arabisch-palästinensische Nationalismus beiderseits reaktionär
und barbarisch sind; keine Seite kann unsere Unterstützung haben.
Wir können weder den israelischen noch den geplanten und möglichen
palästinensischen Staat unterstützen.
Es ist klar, dass die israelische Politik eine der "Apartheid"*
und des Staatsterrorismus ist. Aber gibt es überhaupt einen Staat,
der gute Politik macht? Der Staat ist der Staat und basta. Aber
die aktuelle, "Al Aqsa"-Intifada strebt einen eigenen Staat an und
auch dieser Staat wird nicht besser sein als alle anderen Staaten.
Können wir eine solche nationale Befreiung unterstützen, die genauso
staatsversessen ist wie der Zionismus und alle anderen Nationalismen?
Es ist klar, dass die staatlichen Repressionen Israels gegen die
Zivilbevölkerung Palästinas schrecklich sind, und wir müssen sie
bekämpfen. Kein Zweifel. Aber ebenso sicher ist, dass wir als InternationalistInnen
die massiven terroristischen Aktionen der palästinensischen Nationalisten
gegen die Zivilbevölkerung Israels ebenso bekämpfen müssen. Das
menschliche Leben ist das menschliche Leben. Es ist unmoralisch
und gefährlich, mit den Zahlen der Toten und Opfer zu spielen: Der
"aktuelle Terrorismus" und der amerikanische Kolonialismus töten
und werden noch viel mehr Menschen töten als der islamistische Fundamentalismus
etc.. Es gibt keine "schlechten" Toten, genauso wie es keine "guten"
oder "bessere" Toten gibt. Tote sind Tote. Das Argument, dass die
Selbstmordattentate (der palästinensischen Terroristen) eine Folge
der verzweifelten und ohnmächtigen Situation in Palästina ist, ist
für mein Empfinden genauso unmoralisch. Die Verzweiflung darf weder
als Rechtfertigung für die unmenschlichen und antiproletarischen
Akte der Grausamkeit dienen, noch die Politik, die aus dieser Verzweiflung
entsteht. Wir teilen nicht die Meinung der nationalistischen und
faschistischen Propaganda, die ganze Bevölkerungen für die Politik
ihrer Anführer verantwortlich machen.
Es
ist klar, dass Sharon ein "Faschist"* ist, kein Zweifel,
aber die palästinensischen Nationalisten sind ebenfalls Faschisten.
Sie töten Juden, weil sie Juden sind, dazu gehören auch jene, die
gegen die israelisch-nationalistische Politik sind. Sie töten ohne
Unterschied. Normalerweise töten sie keine Soldaten, sondern ZivilistInnen.
Hamas und die Al-Aqsa-Brigaden keine kleinen Sekten, sondern sehr
einflussreiche Organisationen. Sie dominieren z.T. die militärischen
Machtstrukturen der palästinensischen Gesellschaft. Die Al-Aqsa-Brigaden
sind zudem nichts anderes als der militante Arm der Fatah-Partei
Arafats. Sie terrorisieren sogar ihre Gegner in der palästinensischen
Bevölkerung. Es ist sogar vorauszusehen, was mit Palästinensern
passieren würde, wenn sie es riskierten, sich für eine Demonstration
gegen Nationalismus und den Krieg zu organisieren, ähnlich wie z.B.
die sehr gemäßigte israelische Demonstration im April [2002].
Die erste Intifada war, zumindest zu ihren Anfängen, unabhängig
von den palästinensischen nationalistischen Politikern. Doch jetzt
ist die Situation anders. Wo sind die unabhängigen sozialen Aktionen
der palästinensischen Bevölkerung? Wo sind die Streiks der palästinensischen
ArbeiterInnen?
Diese und nur diese wären Aktionen, die zählen, egal von welcher
Seite.
Und noch mehr. Die Ultranationalisten beider Seiten arbeiten in
einer stillen Kooperation zusammen: Der israelische Staat arbeitet
durch seine Kriegspolitik der Hamas zu und versucht die politischen
Positionen Arafats zu untergraben. Dadurch wird der Hamas zu einem
annähernd totalen Einfluss in der palästinensischen Gesellschaft
(vor allem in Gaza und Ramallah) verholfen. Die militanten Nationalisten
und Fundamentalisten auf beiden Seiten können sich ungestört ausbreiten
und eine weitere Eskalationsstufe vorantreiben, sich mit neuen Waffen
bestücken und natürlich neue Gewinne aus diesen Geschäften ziehen.
Arafat selbst war einer der reichsten Männer in Palästina. Dass
bei (der UN-gestützten) Staatsgründung 1948 750.000 PalästinenserInnen
flüchteten oder vertrieben wurden, ist wahr und ohne Zweifel schrecklich.
Aber diese Ausgrenzungspolitik ist typisch für alle Staaten. Wenn
die arabischen Staaten [den Krieg gegen den proklamierten Staat
Israel] 1948 gewonnen hätten, wären es 600.000 Juden gewesen, die
vertrieben worden wären. Und "die Juden" sind weder besser noch
schlechter als "die Araber".
(Boston /USA, 2001: "Weder Staatsterrorismus,
noch religiösen Terrorismus - gegen Bush und Bin Laden")
Die schweren Gefechte, die von Israelis organisiert wurden, sind
den "linken" Medien sehr bekannt. Aber erinnert sich jemand vielleicht
an das Massaker nach dem 2.Weltkrieg, als die Opfer jüdische ArbeiterInnen
der grössten palästinensischen Raffinerie in Haifa waren, wobei
das Massaker von begeisterten arabischen NationalistInnen organisiert
wurde? Viele Linke sind über die Geschichte des Konflikts sehr schlecht
informiert. Doch genau diese Geschichte zeigt die Wege des Nationalismus
auf, die in eine Einbahnstrasse führen.
Die israelischen EmigrantInnen, die sich in Palästina niederließen
(viele von ihnen machten dies, um ein kommunitäres Leben zu leben
[Kibbuz]), erbauten ihre Dörfer auf Land, das von den feudalen arabischen
GroßgrundbesitzerInnen verkauft worden war. Die arabischen Bäuerinnen
und Bauern verloren das Land, aber ihre "eigenen" Feudalherren übertrugen
die Schuld der eigentlichen Klassenproblematik auf den Sündenbock
der jüdischen EinwanderInnen. Die EmigrantInnen, (ihrerseits) israelische
ArbeiterInnen, taten nichts, um in internationalistischen Kontakt
mit den arabischen ArbeiterInnen zu treten, da sie unter dem Einfluss
ihrer sozialdemokratisch-nationalistischen Anführer standen. Die
Konsequenz: Zwei nationalistische Gegner anstatt eines gemeinsamen
Klassenkampfs.
Sich zwischen zwei Nationalismen zu entscheiden entspricht der Wahl
zwischen Pest und Cholera!
[...]
Letztendlich gibt es keine andere Lösung der israelisch-palästinensischen
Probleme als den antinationalen Kampf für die soziale Emanzipation
der Menschen. Man kann Nationalismus nicht von der Existenz von
Staaten und vom Kapitalismus (sei er privat oder staatlich) trennen.
"Es ist schade, dass kein Aufruf an die palästinensischen und
israelischen Frauen und Männer erging, damit sie sich endlich mal
zusammen gegen ihre korrupten, kriminellen und terroristischen Regierungen
erheben..., damit sie die Option für Zusammenarbeit und gegen die
Waffen ergreifen..., damit eines Tages Unrecht und Hass beendet
sind...; das Recht der Selbstbestimmung der Völker ist ein Thema
der Vergangenheit... Unsere Antworten müssen andere sein: Es drängt
uns, endlich über die Menschheit und den Heimatplanet Erde zu sprechen...!"
Josep in der spanischen Zeitung
"CNT" (Nr. 278)
Es lebe der Anarchosyndikalismus !"
Text von Vadim G., Mitglied der russischen KRAS - IAA
(Konföderation Revolutionärer AnarchosyndikalistInnen
- Internationale ArbeiterInnen Assoziation)
KRAS c/o Vadim Damier,
Pereulok Alynova 13 Kv 24
107258 Moscow, RUSSIA
[email protected]
Aus dem Französischen ins Kastillanische übersetzt von der Redaktion
der spanischen Zeitung
"CNT" (Nr. 281, Juli-August 2002, S.21),
aus dem Kastillanischen ins Deutsche übersetzt und gekürzt vom Anarchosyndikat
"eduCAT" (Sept. 2002).
* Im Anarchosyndikat "eduCAT" besteht kein Konsens über
die Position des Autors (Vadim G.), dass Sharon und die palästinensischen
Nationalisten
"Faschisten" seien, noch dass Israel eine Politik der "Apartheid"
betreibe. Dennoch halten wir den Gesamttext für diskussionswürdig.
Wer sich für die Radiosendung des "eduCAT"
zum Thema "Nahostkonflikt" interessiert, die zum Antikriegstag
2002 von der Gruppe "libertäres Radio"
im LoCom-Bürgerfunk auf der Frequenz von Radio Bonn/Rhein-Sieg ausgestrahlt
wurde, kann sich mit uns in Verbindung setzen.
eduCat
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