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Freiheit für die Belgrader 6

Interview mit einem Mitglied der anarchistischen Föderation Slowenien

Am 23.11.2009 haben einige Genos/innen des Metallsyndikats und des Syndikats verschiedener Berufe (SOV) der CNT-IAA Madrid mit einem Mitglied der "Föderation für anarchistische Organisierung" (
Federacija za Anarhistično Organiziranje - FAO) aus Slowenien ein Interview geführt.

Wir waren gespannt auf das Interview [zur Situation der wegen eines missglückten Brandanschlags auf die Griechische Botschaft in Serbien inhaftierten "Belgrader 6"], denn die FAO unterhält gute Kontakte zu den Mitgliedern der Anarcho-Syndikalistischen Initiative (ASI-IAA) in Serbien.

Wie ist euer Verhältnis zur Anarcho-Syndikalistischen Initiative (ASI-IAA)? Habt ihr Kontakt?

Ich bin ein Mitglied der slowenischen anarchistischen Föderation FAO. Seit über acht Jahren pflegen wir eine enge Beziehung zu den anarchosyndikalistischen Genoss/innen der ASI-IAA und diese beiden Organisationen haben so oft es ging gemeinsame Aktivitäten unternommen.

Momentan sind wir in Kontakt mir mehreren Mitgliedern der ASI, aber die Kommunikation ist mehr als schwierig, da sie vom serbischen Staat streng überwacht werden. Jedoch haben weder wir noch die ASI-Mitglieder Kontakt zu den Gefangenen.

Wie ist die aktuelle Lage der Genoss/innen? Bist du optimistisch?

Im Gegenteil, ich bin sehr pessimistisch. Wie ihr euch vorstellen könnt, ist die Situation für alle sehr frustrierend. Besonders angesichts der Tatsache, dass der serbische Staat sich fest vorgenommen hat, die ASI fertig zu machen. Sie nutzen in dieser Situation jede Möglichkeit dazu. Tatsächlich wurde im Laufe der Zeit die Untersuchungshaft unter dem Vorwand neuer Vorwürfe verlängert.

Was wird ihnen vorgeworfen?

Ihnen wird "Internationaler Terrorismus" vorgeworfen. Momentan ist die Untersuchung abgeschlossen und wird vor Gericht gebracht. Im Falle einer Verurteilung drohen ihnen Haftstrafen von drei bis fünfzehn Jahren. Und das, obwohl der Staatsanwalt keine legalen Beweise hat und die Genoss/innen die Vorwürfe von Anfang an zurückgewiesen haben.

Es muss erwähnt werden, dass es für den serbischen Staat üblich ist, derartige Vorwürfe gegen solche systemgenerischen Organisationen zu erheben, um deren Aktivitäten zu verhindern. Damit sollen die Mitglieder unter Druck gesetzt werden, bevor man sie wieder ohne Anklage freilässt. Aber in diesem Fall ist es offensichtlich anders.

Wie ist die sozio-politische Lage in Serbien?

Die Situation ist wirklich beschissen. Klar ist Serbien auch von der aktuellen Krise betroffen, aber es kommt erschwerend hinzu, dass es sich um einen Staat im Übergang vom sogenannten Sozialismus zum ungezügelten Kapitalismus befindet.

Die Arbeitslosenquote liegt bei über 20%. Und diejenigen, die einen Job haben, kommen damit kaum über die Runden. 60% der Leute arbeiten für einen Lohn, der unter dem Durchschnitt von 350 EUR/Monat liegt. Und dabei sind diejenigen nicht eingerechnet, die nur den Mindestlohn von 150 EUR/Monat bekommen.

Außerdem ist die Lage in den öffentlichen Einrichtungen sehr chaotisch. Es gibt verschiedene Machtzentren und jede Art von Mafia. Korruption ist an der Tagesordnung. Wie in Spanien sind die politischen Parteien alle gleich, wenn es um die Wirtschaft geht. Unnötig zu erwähnen, dass der Repressionsapparat trotz des institutionellen Chaos perfekt funktioniert.

Welchen Einfluss hat die ASI in Serbien?

Soweit wir wissen, handelt es sich um eine kleine Organisation, die aber einen großen Einfluss auf die Gesellschaft hat. Sie haben Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Arbeiter/innen genommen. Es hat sich gezeigt, dass sie die einzige Alternative zu anderen Gewerkschaften sind.

Sie waren sehr erfolgreich und beharrlich mit anarchistischer Propaganda, den Prinzipien, Taktiken und Zielen - nicht nur bei Arbeiter/innen, sondern auch bei Studierenden und Lehrenden. Wir gehen fest davon aus, daß das der Hauptgrund für die Verhaftungen ist. Und wir vermuten, dass hinter dem ganzen Prozess der serbische Geheimdienst steckt.

Außerdem möchte ich hinzufügen, dass die ASI nicht nur in Serbien einflussreich ist, sondern in einigen Balkanstaaten. Da es in diesen Ländern (außer in Kroatien) momentan keine anarchosyndikalistischen Organisationen gibt, sind sie der Bezugspunkt. Die ASI hat in den letzten Jahren viel dafür getan, dass es eine Nachfrage nach anarchosyndikalistischen Organisationen gibt.

Wie hat die serbische Bevölkerung [auf die Verhaftungen] reagiert?

Viele nahestehende Organistionen haben ihre Solidarität ausgedrückt, ebenfalls bekannte Persönlichkeiten (Regisseur/innen, Journalist/innen, Schriftsteller/innen, usw.), sowie Universitätsprofessor/innen und einige linke Gruppen. Wie gesagt, die ASI hat mehr Einfluss als man sich im übrigen Europa vorstellt.

Wie ist die aktuelle Lage antiautoritärer Gruppen in Serbien?

Wie gesagt, der serbische Staat verfolgt eine sehr repressive Politik. Einer der aktivsten Kämpfe heutzutage ist der Antifaschismus. Er ist einer der wenigen, der alle Organisationen ziemlich vereinigt. Das liegt daran, dass der Faschismus in Serbien sehr stark ist, das Parlament einbegriffen.

Ganz besonders hat die faschistische Bewegung ihren Schwerpunkt auf eine Kampagne gegen den Anarchosyndikalismus gelegt. Zum Beispiel vor ein paar Wochen, als sie eine starke Kampagne gegen die ASI gemacht haben. Ich würde sogar sagen, dass der serbische Faschismus sich nicht auf seinen Kampf gegen den liberalen Antifaschismus konzentriert. Sein wahrer Feind ist der Anarchosyndikalismus, was aufzeigt - und ich werde nicht müde es zu wiederholen - welch großartige Arbeit die ASI geleistet hat. Tatsächlich hat die ASI die Gründung der Belgrader Antifaschistischen Initiative (BAFI) vorangebracht.

Hast du zum Schluss einen Vorschlag, wie man den gefangenen Genoss/innen helfen kann?

Wir halten es für sehr wichtig die Kampagne [zur Freilassung] zu unterstützen, denn es könnte ein Präzedenzfall für die Unterdrückung der anarchistischen Bewegung auf dem Balkan werden. Wir müssen die Solidaritätskampagne unnachgiebig weiterführen und die Leute informieren, um den öffentlichen Druck zu erhöhen.

Sie brauchen die Unterstützung in all ihren Bedürfnissen. Momentan ist eins der größten Probleme die mangelnde Finanzierung der Rechtshilfekosten, möglicher Strafgelder, usw. Angesichts der ernsten Lage glaube ich, dass wir uns neue Wege der Solidarität überlegen müssen. Wir möchten betonen, dass wir immer nur solche Methoden anwenden dürfen, die den Angeklagten nicht schaden oder ihre Lage verschlimmern. Wir möchten daran erinnern, dass versucht wird, die Genoss/innen wegen "Internationalem Terrorismus" zu verurteilen!

Tschüss und Danke für das Interesse.


Lokalföderation der CNT-IAA Madrid
(04.12.2009)

http://madrid.cnt.es

Internationale Arbeiter/innen-Assoziation (IAA),
http://www.iwa-ait.org


Quelle:
http://madrid.cnt.es/noticia.php?id=244

Übersetzung: Anarchosyndikat Köln/Bonn, http://anarchosyndikalismus.org


Hintergrundinformationen zu den "Belgrader 6":


Dieser Text ist gemeinfrei bei Nennung der Autor/innen bzw. Übersetzer/innen und http://anarchosyndikalismus.org