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Bildung für alle!

Das Problem der menschlichen Gesellschaft - auch noch im 21. Jahrhundert - sind die ungleichen Aus-/Bildungschancen. Bildung können fast nur die Reichen erlangen, wodurch die "vollständige Ausbildung" der Armen verhindert wird. Diese Ungleichheit verstärkt in der kapitalistischen Klassengesellschaft die soziale Spaltung und Ungerechtigkeit. Sie verhindert dadurch die Gleichberechtigung aller Menschen.


Wissen ist Macht – und unter diesen Verhältnissen wird Macht missbraucht für die Aufrechterhaltung und den Ausbau der Ungleichheit. Wissen dient nur der "Teilung in eine Masse von Sklaven und eine kleine Zahl von Herrschenden".*

Der herrschaftslose Sozialist Michael Bakunin schrieb dazu bereits 1869, dass die Anarchist/innen (damals "sozialistische Demokraten" genannt) für die klassenlose Gesellschaft kämpfen und damit für den uneingeschränkten Zugang zu Bildung - für alle. Im Gegensatz dazu fordern die "bürgerlichen Sozialisten" - also die heutigen Sozialdemokrat/innen - nur ein bischen mehr Bildung als vorher. Damit wollen sie die bestehende marktwirtschaftliche Ordnung und ihre Teilnahme daran erhalten und höchstens die allergrößten Übel oberflächlich abmildern, "versüßen, verzieren".

Zu dieser herrschenden Ordnung werden sich aber Anarchist/innen immer in grundsätzlichem Widerspruch befinden, ebenso wie es daher auch keine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Sozialist/innen geben kann, deren "Dummheit sich in den Schulen wissenschaftlich bildete, während ihn die Arbeit des Arbeiters bekleidete, nährte, ihm Unterkunft und alles zu seiner Ausbildung nötige, Lehrer und Bücher, verschaffte."

Nun sagen diese aber, dass die Wissenschaftler/innen doch für das Wohl von allen arbeite, "nicht nur für sich. Ihre wissenschaftlichen Entdeckungen, außer dass sie den menschlichen Geist erweitern, verbessern sie nicht die Industrie, den Ackerbau, und im Allgemeinen das politische und soziale Leben? Veredeln ihre künstlerischen Schöpfungen nicht das Leben Aller? Aber nein, keineswegs. Und der größte Vorwurf, den wir der Wissenschaft und den Künsten zu machen haben, ist gerade der, dass sie ihre Wohltaten nicht verbreiten und ihren Einfluss nur auf einen sehr geringen Teil der Gesellschaft ausüben, mit Ausschluss und [...] zum Schaden der ungeheuren Mehrzahl".

Die ungeheuren Fortschritte der Wissenschaft haben, genau wie
die Entwicklung der Wirtschaft, einen großen Reichtum in den
"zivilisiertesten" Ländern der modernen Welt hervorgebracht

"Dieser Reichtum ist ganz exklusiv und im Begriff, dies immer mehr zu werden, indem er sich in einer immer kleineren Zahl von Händen konzentriert und die unteren Lagen der Mittelklasse, die kleine Bourgeoisie, ins Proletariat wirft, so dass die Entwicklung in direktem Verhältnis zum wachsenden Elend der Massen steht.“

Das Kleinbürgertum, das heute mit der Mittelklasse nur durch eine lächerliche Eitelkeit einerseits und durch seine Abhängigkeit von den großen Kapitalisten andererseits verbunden ist, befindet sich in einer noch elenderen und viel erniedrigenderen Lage“ als das Proletariat. Wenn die oft genauso armen Kleinbürger/innen ein bisschen mehr Herz und Verstand hätten, würden sie nicht zögern, sich dem „Kampf gegen die große und mittlere Bourgeoisie anzuschließen.“

Bakunin konnte sich damals (1869) kaum vorstellen, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Kapitalismus noch mehr als zehn Jahre so weitergehen könne. Denn allen, denen "Menschenwürde und Gerechtigkeit, das heisst die Freiheit eines jeden in und durch die Gleichheit aller sowie die Befreiung der Arbeit am Herzen" liegen, müsste doch auffallen, dass Wissenschaft und Technik unter der Kontrolle des Staates stehen und ein wichtiger Teil seiner Machtbasis sind.

Wissenschaft und Technik dienen "mit all ihren zur Vollendung gebrachten Waffen
und diesen furchtbaren Zerstörungswerkzeugen den Militärstrategen zur
Verzehnfachung der Offensiv- und Defensivkraft der Staaten"

All die Maschinen und auch die Telegraphen (= Fernmelder) könnten die Befreiung von allen Menschen hervorbringen. Doch "die Telegraphen verwandeln jede Regierung in einen hundert- und tausendarmigen Briarcus" (den Riesen aus der griechischen Sagenwelt) und den Medien der Regierung "die Macht, überall anwesend zu sein, zu handeln und zuzugreifen. Durch diese Erfindungen werden die furchtbarsten politischen Zentralisationen geschaffen, die je auf Erden existieren mögen."

Aber - so mag der Einwand kommen - die Massen hätten doch auch profitiert von der immer rasanteren Entwicklung des Fortschritts, auch sozial... Nein, im Gegenteil. Die Gewinne der Unternehmen steigen immer weiter, während die soziale Ungerechtigkeit weltweit immer größer wird. Diese Technologie hat nur neue Abhängigkeiten geschaffen: vom Weltmarkt, von der Energieversorgung, von der HighTech-Medizin und den Patenten auf Nahrung und Wissen.

In der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung resultierten die Fortschritte der Wissenschaft aus der Unwissenheit des Proletariats, ebenso wie die Fortschritte der Industrie und des Handels die Ursache seines Elends waren. Geistige und materielle Fortschritte trugen also in gleicher Weise zur Vermehrung seiner Knechtschaft bei. Was ergibt sich daraus?“

Verwerfen und bekämpfen wir diese bestehende, a-soziale Wirtschaftsordnung!

Solange die Bildung nicht frei zugänglich und für alle gleichwertig ist, also "solange es mehrere Bildungsgrade für die verschiedenen Gesellschaftsschichten gibt", wird es auch unter­schiedliche Klassen geben. Das heisst: wirtschaftliche und politische Vorrechte für Wenige und Elend für die Mehrzahl der Menschen auf der Welt.

Als libertäre, also freiheitliche Gewerkschafter/innen kämpfen wir - in den Traditionen des 19. und 20. Jahrhunderts - mit den erprobten Direkten Aktionen des Anarchosyndikalismus (Aufklärung, Protest, Boykott, Streik,...) für die Freiheit und Gleichheit aller Menschen mit oder ohne Erwerbsarbeit. Darum wollen wir auch vollständige und gleiche Bildungschancen für alle!

Dazu Bakunin: Wir leben in „der gegenwärtigen Gesellschaft, wo Hand- und Kopfarbeit beide gleich verfälscht sind durch die komplett künstliche Isolierung, zu der man beide verurteilt hat. Aber wir sind überzeugt, dass in einem lebendigen und vollständigen Menschen beide entwickelt sein müssen, und dass in einem lebendigen und vollständigen Menschen beide Tätigkeiten, die der Muskeln und der Nerven, in gleicher Weise entwickelt sein müssen, und dass [...] jede die andere unterstützen, erweitern und verstärken wird [...]. Die Arbeit des Wissenschaftlers [...] und des gebildeten Arbeiters werden intelligenter“.

Daraus folgt, dass es nicht mehr bloß "Arbeiter und Gelehrte geben darf, sondern nur Menschen.“ Nur dann wird der Nutzen aller "Arbeit" genannten Tätigkeiten - die nun einmal die Grundlage der menschlichen Gesellschaft darstellen - auch für alle da sein. Erst durch freie Bildung und selbstbestimmte Arbeit kann man „wirklich mit der ganzen Welt solidarisch sein“.

In der Übergangsphase nach der vor uns liegenden großen sozialen Krise, welche ein Auslöser für den Prozess der sozialen Revolution sein kann, werden die hohe Kultur, die feinen Genüsse und gewisse wissenschaftliche und technische Spitzenleistungen vorerst einen Dämpfer bekommen. Letztendlich aber werden sie der „Veredelung des Lebens aller“ dienen.


Es soll keine Eliten mehr geben, aber dafür auch weniger Unwissenheit!
Dafür "werden Millionen von Menschen, die heute herabgewürdigt und erdrückt

werden, [endlich] wie Menschen auf der Erde leben.
Halbgötter und Sklaven werden gleichzeitig zu Menschen werden.“

escape capitalism

Das Hauptargument der Bürger/innen, die eine Klassengesellschaft befürworten, gegen eine 'Bildung für alle' lautet immernoch: Die Menschen seien eben nicht gleichermaßen bildungsfähig oder "intelligent" und auch in einer gleichen und freien Gesellschaft würde es unter den Menschen unendliche Unterschiede an "natürlichen" Neigungen und Anlagen geben.

Schon der letzte Teil dieser Behauptung wäre kein Argument gegen, sondern für gleiche Bildung, denn dann werden die "dummen" Reichen nicht mehr mit höchstem Leistungsdruck durch die Gymnasien gejagt und "schlaue" Arme müssten nicht mehr nur die mangelhafte (Aus-)Bildung, Perspektivlosigkeit und Armut ihrer Eltern "erben".

Ausserdem gibt es bis heute keine Studien, welche das Märchen der "Begabung" wissenschaftlich überzeugend stützen würden. Dort, wo dies behauptet wird, wie von der rechten Sozialwissenschaft (die das mit der biologistischen "Glocken-Kurve" ungleicher Intelligenzverteilung begründet), beruhen sie auf rassistischen oder klassenpolitischen Motiven für diese Ungleichheit. Wenn solche Leute dann noch von persönlichen Rechten und Freiheit innerhalb des Kapitalismus reden, kann die Heuchlerei kaum größer sein. Das ist einfach Betrug.

Der Ausgangspunkt für die persönliche Entwicklung, und somit auch für die persönlichen Freiheiten, ist und bleibt die Gleichheit im Sinne einer Gleichwertigkeit. Dabei ist die Solidarität im Vergleich zur Einzigartigkeit der ungleich höhere Wert für die Menschheit. Ebenso wie die Verschiedenheit der Menschen ihr größter Reichtum ist, ist sie auch Grundlage der Solidarität, da sich so alle Schwächen und Stärken ausgleichen und ergänzen.

Verschiedenheit ist also sowohl Ursache und Hauptargument
für das solidarische Streben nach Gleichheit und Freiheit

Solidarität ist nicht das Produkt, sondern der Ursprung der menschlichen Art, da sich die Persönlichkeit nur in Gesellschaft entwickeln kann. Sie ist auch ein Mittel gegen die Vereinzelung (in "Freiheit" ebenso wie im Gefängnis), die tödlich sein kann. Es geht also darum, die zukünftige Gesellschaft auf der Grundlage der größtmöglichen Freiheit für die Gleichheit aller zu organisieren, "damit man nie mehr die Rückfälle in die Diktatur und den despotischen [= unterdrückerischen] Ehrgeiz fürchten muss."

Ausserdem kritisierte Bakunin die frühe Einteilung der Kinder nach ihrer Leistungsfähigkeit, wie sie auch heute noch im deutschen Schulsystem aufs Härteste praktiziert wird durch die Unterteilung in Gymnasium, Realschule, Hauptschule und Sonderschule. Und das, obwohl die Fähigkeiten und Fertigkeiten der meisten Menschen erst spät - meist erst im Erwachsenenalter - zu Tage treten. Ausserdem ist diese Auswahl nach Leistungsfähigkeit die Hauptursache für gesellschaftliche Ausgrenzung und die Festigung der Klassentrennung in Arme, weniger Arme und Reiche.

"Hieraus ergibt sich, dass die Gesellschaft (ohne den wirklichen oder angenommenen Unterschied der Neigungen und Fähigkeiten in Betracht zu ziehen), [...] allen ohne Ausnahme eine absolut gleiche Erziehung und Ausbildung schuldig ist."

bücher

Der Unterricht muss auf allen Stufen gleich sein, damit alle auf
die gleiche Weise vollständige Menschen werden können

In Zukunft sollte die Grundlage der Bildung die Kenntnis der Natur sein, die Gesellschaftswissenschaft (Soziologie) wäre dann ihr Höhepunkt:

" - da wir aufrichtige Anhänger der persönlichen Freiheit sind,

- da wir im Namen dieser Freiheit von ganzem Herzen das [unmenschliche] Autoritätsprinzip [...] verabscheuen,

- da wir mit der ganzen Tiefe unserer Liebe für die Freiheit die väterliche Autorität wie die Autorität des Schulmeisters verabscheuen,

- da wir beide als gleich demoralisierend und verhängnisvoll erachten und die tägliche Erfahrung uns lehrt, dass der Familienvater und der Schulmeister (trotz oder wegen ihrer vermeintlichen Weisheit) sich über die Fähigkeiten ihrer Kinder noch leichter irren als die Kinder selbst, und

- da [...] jeder, der herrscht [...] seine Macht missbrauchen wird, und weil schließlich die vom Despotismus begangenen Fehler immer verhängnisvoller und schwerer wieder gut zu machen sind als die in Freiheit begangenen Fehler,

aus diesen Gründen halten wir voll und ganz gegen alle offiziellen, offiziösen, väterlichen und pedantischen Bevormunder, die es gibt, die Freiheit der Kinder [...] aufrecht. [...] Denn, wenn sie sich irren, wird es eine wirksame Lehre sein". Denn ein Mensch wird schlauer "nur durch eigene, selbst gemachte Erfahrungen, nie durch die Erfahrungen anderer".

Die herrschende Moral ist zutiefst unmoralisch, da sie auf dem Respekt vor Autorität und somit der Verachtung der menschlichen Freiheit und Würde gründet. Sie führt zwangsläufig zu einer Politik, die nur denen Rechte zuerkennt, die durch ihre Stellung wirtschaftlich sowieso bevorzugt sind.

Die menschliche Moral dagegen gründet sich auf den Respekt der Freiheit
und der Menschheit sowie auf die Verachtung der Autorität

"Die Erziehung der Kinder nimmt als Ausgangspunkt die Autorität und soll schrittweise zur vollständigen Freiheit führen." Das war zwar schon 1869 nicht sinnvoll, aber wird leider auch im 21. Jahrhundert noch immer gezielt angewendet. Wir jedoch verstehen unter Freiheit die volle Entwicklung aller menschlichen Fähigkeiten. Die Menschen waren, sind und werden nie frei sein von den (eigentlich zusammen gehörenden) natürlichen und gesellschaftlichen Gesetzen, denn sie sind beide unsere Lebensgrundlage. Die herrschenden Sozialgesetze gründen leider zumeist in politischen Gesetzen der bevorzugten Klassen und somit auf Autorität, Willkür und Ausbeutung - der Quelle allen Übels. Und nicht auf der Solidarität der Menschen miteinander und untereinander.

Die Summe der herrschenden sozialen Einflüsse [...] heißt öffentliche Meinung. Und wer kennt nicht ihre allmächtige Wirkung auf die Menschen? Die Wirkung der schlimmsten Unterdrückungsgesetze ist nichts dagegen im Vergleich zu ihr. Sie ist der wichtigste Faktor für das Werden der Menschen". Daraus folgt, dass wir vor allem die Gesellschaft, die öffentliche Meinung und das öffentliche Wissen und Gewissen selbst menschlich gestalten müssen.

A - Buch lesend
Für eine Gesellschaft ohne
Herrschaft und Ausbeutung!


* Alle Zitate nach Michail Bakunin: "Die vollständige Ausbildung", Erstveröffentlichung in: "Egalité", Nr. 1, Juli/August 1869. Nachdruck im Selbstverlag Karlsruher Anarchisten / Laubfrosch - Vertrieb für freiheitliche Literatur, Karlsruhe, o.J. [1977]

Mehr Infos über freie Bildung auf http://anarchosyndikalismus.org/bildung